Certamen: Sehr geehrter Professor, Würden Sie vielleicht noch etwas zur Form der Messliturgie sagen?
Ja, das mache ich sehr gerne. Es ist zwar nicht mein engeres Fachgebiet, aber mir liegt die Liturgie sehr am Herzen.
Ich möchte nur Folgendes sagen: Die Liturgie, und somit auch die Form der Heiligen Messe, ist keine folkloristische Veranstaltung, also kein netter Ausdruck persönlicher Frömmigkeit, den man nach Belieben verändern kann. Das setze ich hier voraus. Die Liturgie muss ein Ausdruck dessen sein, was man glaubt: Lex orandi muss der Lex credendi entsprechen. Wenn man den Grundunterschied zwischen moderner und traditioneller Theologie in einer einzigen Antithese zusammenfassen will – und ich weiß, dass derartiges immer vereinfachend ist, denke aber, dass es das Wesentliche trifft –, dann ist dies der Gegensatz von Theozentrik und Anthropozentrik.
In der traditionellen Theologie begreift sich der Mensch als Geschöpf Gottes und richtet sich auf diesen Schöpfer aus, dem er alles verdankt. Das Hinaustreten des Geschöpfes aus Gott ist zugleich gleichsam kreisförmig von der Wendung auf Gott hin begleitet, womit wir erneut bei der Homo Viator wären. Der moderne Mensch dagegen sieht sich – wie wir es bereits im Zusammenhang mit Kant gehört haben – auf der Grundlage seiner eigenen Erfahrung als absoluten Anfang, ja geradezu als selbstbegründet. Sofern überhaupt noch ein Gott angenommen wird, dient er menschlichen Bedürfnissen, etwa wie bei Kant kognitiv als regulatives Prinzip, aber auch emotional als Erlöser, Tröster oder was auch immer sonst. Dies ist, was man Anthropozentrik nennt: Nicht mehr der Mensch richtet sich auf Gott aus, sondern Gott richtet sich am Menschen aus, wird zu einem Dienstleister degradiert, den man sich je nach wechselndem Zeitgeist so gestaltet, wie man ihn haben möchte. Man könnte provokativ sagen: Statt von einem Homo ad Deum spricht man von einem Deus ad hominem.
Wenn man wesentliche Grundtendenzen moderner Theologie für eine Fehlentwicklung hält – und ich denke, es ist deutlich geworden, dass ich das durchaus tue –, und wenn sich daraus ergibt, dass Theozentrik die richtige, angemessene Haltung eines Christen sein muss, und wenn weiter, wie schon festgestellt, die Lex orandiAusdruck der Lex credendi sein muss, dann ist die Schlussfolgerung zwingend: Die Liturgie, die dies am treffendsten zum Ausdruck bringt, ist die beste.
In den letzten Jahrzehnten wurde vielfach und in aller Deutlichkeit herausgearbeitet, wie sehr die sogenannte Alte Messe diesem Erfordernis in Text und Gestus gerecht wird. Man braucht nur an das bekannte Buch von Michael Fiedrowicz, Die überlieferte Messe, zu erinnern, in dem dies mustergültig dargestellt ist. Dies im Einzelnen auszubreiten, kann hier nicht meine Aufgabe sein. Die Theozentrik dieser Liturgie erschöpft sich aber keineswegs nur in der Zelebrationsrichtung versus orientem, auf die in diesem Zusammenhang immer wieder verwiesen wird.
Die Messe nach dem Novus Ordo hingegen ist hoch problematisch. Sie kann zwar im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchaus würdig gefeiert werden und ist auch in ihrer sakramentalen Wirkung gültig, aber sie weist doch massive Defekte auf. Zum einen, weil zentrale katholische Lehraussagen in Rücksichtnahme auf protestantische Sichtweisen einfach nicht mehr erwähnt werden und die Messtexte von allem entkernt wurden, was den ökumenischen Interessen der nachkonziliaren Theologie im Wege stand. Davon will ich hier aber nicht weiter sprechen, sondern mich auf den Aspekt von Theozentrik und Anthropozentrik konzentrieren.
Hier muss man feststellen, dass die neue Messe der genaue Ausdruck der Wendung des Menschen auf sich selbst ist, wie sie auch sonst die moderne Sichtweise charakterisiert. Die neue Messe ist ein konsequentes Produkt des modernen, säkularisierten Menschen, dem die Kirche meint, sich anpassen zu müssen. Angefangen von der Wendung des Priesters zum Volk – obwohl das vom Novus Ordo nicht einmal vorgeschrieben ist, aber eben im Geiste der Zeit liegt – über den Verlust der vielen äußeren Zeichen der Demut und Ehrfurcht und der auf das Mysterium hinweisenden Sprache bis hin zum Verlust des Bewusstseins von Sündhaftigkeit, Erlösungsbedürftigkeit und jüngstem Gericht: All dies und vieles mehr zeigt, dass auch die Gestalt der Messe eine kopernikanische Wende durchgemacht hat – weg von der Theozentrik hin zur Anthropozentrik.
Wer meinen bisherigen Ausführungen auch nur ein wenig abgewinnen kann, muss zu dem Schluss gelangen, dass – ohne die persönliche Frömmigkeit vieler Besucher der Messen des Novus Ordo in Zweifel ziehen zu wollen – die Messe im tridentinischen Ritus die angemessenste Form der Gottesverehrung darstellt. Ihre Feier lediglich aus pastoralen Gründen für die „ewig Gestrigen“ gerechtfertigt zu sehen, statt ihre tiefe theologische Legitimation zu begreifen, zeugt nicht eben von theologischer Kompetenz.
Im Ganzen gilt – und das ist mein Schlusswort – für die Alte Messe wie für alles andere im Streit um eine gute, gesunde und rational begründete Theologie, wie er derzeit ausgefochten werden muss: Die Vertreter der Tradition müssen wissen und können auch wissen, wie außerordentlich gut diese Tradition begründet ist. Sie müssen aber auch lernen, die argumentativen Schätze dieser Tradition wieder neu zu heben. Ihnen haben, wie sich zeigen wird, die im modernen Subjektivismus befangenen Zeitgenossen wenig entgegenzusetzen. Es gilt, dezidiert den Mut aufzubringen, unmodern zu sein.